Nach dem Abi studieren ist nicht die einzige Option – das wollen Handwerksbetriebe in Delmenhorst vermitteln. Beim Willms trafen die Botschafter der Branche auf Jugendliche mit interessanten Berufswünschen.
Handarbeit statt Theorie: Schüler des Willms-Gymnasiums in Delmenhorst sollten sich bei einem Tag des Handwerks in der Außenstelle des Gymnasiums an der Königsberger Straße über die Möglichkeiten der Branche informieren. Die 14- bis 15-Jährigen waren interessiert, aber eine kleine Stichprobe zeigte, dass die Betriebe einen schweren Weg vor sich haben, wenn sie die Jugendlichen für sich gewinnen wollen.
Seit Monaten und Jahren klagen Handwerksbetriebe, dass der Nachwuchs fehlt. Das Mantra zieht sich durch die Branche, und kein Wunder also, dass die Betriebe auch bei den künftigen Abiturienten gern punkten wollen. Keine leichte Aufgabe.
An einer Vielzahl von Ständen haben Gesellen und Meister von Handwerksbetrieben einzelne, zeitlich durchgetakteten Gruppen an Stationen einen Einblick geliefert. So etwa Gerrit von Schurrel, Meister bei der Ganderkeseer Malerei Rigbers, der die 15-jährigen Sofie, Desima und Jasleen eine Planke schleifen und mit einem Lack behandeln ließ. Sofie ist hier an dieser von ihr gewählten Station, weil ihr auch zu Hause Malen und Zeichnen Spaß macht. „Ich hatte also Interesse, bei dem Handwerk mal reinzuschauen“, sagt sie. Ob sie es tatsächlich machen wolle? „Mal schauen“, sagt sie, aber die Mimik verrät eine eher höfliche Ablehnung. Ihre Schulkameradin Desima mag Malerei zwar, weil es eine kreative Sache ist – will aber wohl eher Lehrerin werden. Und Jasleen hat auch das Studium vor Augen, stellt sich eine Zukunft als Ingenieurin oder Architektin vor. Das, meint von Schurrel, seien allerdings auch Studiengänge, bei denen eine Vorbildung im Maurerhandwerk beispielsweise nicht schaden würde.
Beim Stand des Bauunternehmens Mahlstedt zeigen sich die 15-jährigen Jonas und Tabea-Philine emsig. Als Spielerei, um den Baustoff Beton kennenzulernen, lässt Bautechniker Maurice Robinson sie kleine Totenkopf-Skulpturen gießen. „Man hat sofort ein Ergebnis“, meint Jonas als Anreiz für das Werken. „Es macht Spaß, etwas zu machen, bei dem man dann sofort einen Erfolg sieht.“ Seine Schulkameradin findet am Maurerhandwerk ein glatt ästhetisches Vergnügen: „Es sieht cool aus. Und ich finde es cool, mit Beton zu arbeiten“, meint sie. Vollkommen für das Handwerk gewonnen hat sie Robinson aber wohl – derzeit – noch nicht. Er will eine Naturwissenschaft studieren, sie tendiert zum Lehrerberuf, oder einem Studium der Paläontologie. Robinson glaubt dennoch, dass er generell bei vielen Schülern an diesem Vormittag „schon ein bisschen Begeisterung wecken konnte“. Aber Handwerker verdienen nicht sehr gut, und die Arbeit sei sehr anstrengend, hört man im Schnack mit den Schülern. Naja, Ansichtssache: Stundenlöhne von 20 Euro seien nach den ersten Jahren als Geselle möglich, so weit lässt ein Unternehmer durchblicken. Und sehr eindeutig ist der Job recht sicher: Bauunternehmens-Chef Timo Mahlstedt stellt fest: „Es gibt viel zu wenige Gesellen, das Handwerk ist schwach besetzt.“ Er zumindest konnte mit einer kleinen Ausnahme während der Corona-Pandemie regelmäßig Azubis aufnehmen.
Am Nachbarstand beim Tiefbauunternehmen Petershagen lässt sich als weiteres Beispiel die 15-jährige Maren über Rohrverbindungen informieren. „Ich weiß zwar schon, was ich machen will, aber es ist interessant zu sehen, was es beruflich auch sonst für Möglichkeiten gibt“, sagt sie. Da ahnt man nun, dass es wohl wieder statt eines Handwerks ein Studium werden soll – liegt aber falsch: „Konditorin“ rückt sie raus, will sie werden. Das Abitur wolle sie trotzdem machen, denn der Abschluss lasse Freiheit für Alternativen.
Eine besondere Leidenschaft hat derweil offenbar die 15-jährige Amelie gefunden. Sie backt gern, und so findet man sie begeistert Brötchenrohlinge rollen, Teig abwiegen oder Hefezöpfe flechten. Sie hat drei Optionen: Jura studieren und Anwältin werden, Psychologie studieren – oder Bäckerin werden. Eine Auswahl, die auf eine echte Herzenswahl schließen lässt. Ihr Schulkamerad Leon, der ebenfalls Brötchen wiegt, meint, zu Hause backe er zwar schon sehr gern. Aber beruflich? Eher nein, diese Station des Bäckers Haferkamp wird ihn wenig beeinflussen in seinem Wunsch, Medizin zu studieren.
Die Botschaft, die die Schule vermitteln will, zusammen mit den Handwerksbetrieben. „Am Ende der Schullaufbahn hier am Willms steht zwar das Abitur“, sagt Malte Hegeler, Koordinator für Studien- und Berufsorientierung, „aber auf dem Weg dorthin gibt es verschiedene mögliche Abzweigungen.“ Und Jan-Niklas Lühring, Leiter der Außenstelle, sagt: „Wenn Schüler merken, dass ihre Wünsche nicht mit ihren Leistungen übereinstimmen, können sie hier Perspektiven finden.“ Die beiden Organisatoren wollen deutlich machen, dass das „Baukastensystem“ der Bildung nicht in Stein gemeißelt ist: Wer Abitur macht, kann dennoch eine Ausbildung beginnen. Auch davor ist das bereits möglich, und auch vor einem Studium ist eine Ausbildung möglicherweise sinnvoll, und wer Meister ist, hat eine Hochschulreife.
Sven Jochims, Chef der Delmenhorster Kreishandwerkerschaft, ist begeistert von der Organisation am Willms: „Perfekt“ sei die Veranstaltung geplant worden. „Für viele bietet das Handwerk den richtigen Weg“, sagt er, das habe das Willms sehr gut verdeutlichen können. „Die handwerkliche Ausbildung ist keine Sackgasse.“