Ein wahres Politik-Schwergewicht konnte das Gymnasium an der Wilmsstraße für die Gesprächsreihe „Begegnungen am Willms“ kurz vor der Sommerpause gewinnen: Gregor Gysi, ehemaliger Fraktionsvorsitzender der Linkspartei und Europa-Chef der Linken, hielt am Dienstagnachmittag einen Kurzvortrag zum Thema „Die Einheit, die ich meine“ vor rund 250 Zuhörerinnen und Zuhörern im Forum der Schule. In der anschließenden Podiumsdiskussion hatte das Publikum die Chance dazu, den prominenten Politiker von einer persönlicheren Seite kennenzulernen.
Die Herausforderungen der EU angesichts des aktuellen Rechtsrucks, das angespannte Verhältnis Europas zu Russland und die Ungleichheit zwischen West- und Ostdeutschland trotz Wiedervereinigung – in seiner nur knapp fünfminütigen Rede verstand es Gysi seine Gedanken über einige der aktuellsten politischen Herausforderungen dem Publikum näher zu bringen. „Noch nie war die Europäische Union so gefährdet wie heute“, resümierte der 71-Jährige zum Schluss seines Vortrags und positionierte sich ganz klar: „Wenn die EU zerbricht, dann kommt der Krieg unter den Mitgliedsländern zurück. Wir Alten sind dazu verpflichtet, die EU für die Jugend zu retten.“
Weniger ernst, dafür umso angriffslustiger zeigte sich Gysi während der Fragerunde, die von dem Schülerinnen-Duo Chiara Wedler und Marie-Louise Wördenhoff (beide 11. Klasse) sowie den Lehrenden Jelena Jovicic und Jan-Niklas Lühring moderiert wurde. „Das ist hier ja wie in den Talkshows, alles muss oberflächlich bleiben“, quittierte Gysi die Bitte um kurze Antworten gleich zu Beginn der Diskussion. Überhaupt wusste der selbst ernannte Zweck-Optimist mit viel Humor und kleinen Anekdoten die kritischeren Stellungnahmen zur aktuellen Politik aufzulockern. Seine Ankündigung als „blitzgescheites rhetorisches Feuerwerk“ durch Schulleiter Stefan Nolting machte Gysi ganz zum Vergnügen des Publikums alle Ehren. Nur davon, dass seine Reden inzwischen nicht nur ausgezeichnet werden, sondern auch als Lehrmaterial Einzug in Deutschbücher gehalten haben, wollte der Politiker nichts wissen: „Das ist ja hoch traurig!“
Lieber gab er den Jugendlichen unter den Zuschauerinnen und Zuschauern einen taktischen Rat zur „Fridays for Future“-Bewegung. Er freue sich sehr über die Demonstrationen, jetzt sei es aber an der Zeit, dass die Gruppe eine Delegation bilde. „Dann müsst ihr ein Gespräch mit der Kanzlerin führen und euch auf die Punkte einigen, die unbedingt umgesetzt werden müssen“, erklärte Gysi den Zuhörern. Denn nur so könnten Fortschritte gemacht werden. „Und wenn eine Vereinbarung verletzt wird, dann heißt es weiter demonstrieren.“
Auf eine anschließende Publikumsdiskussion musste aufgrund der Verspätung von Gysi verzichtet werden. Aus dem eigentlich geplanten 90-minütigen Besuch wurde zum Bedauern der Zuschauerinnen und Zuschauern eher eine kurze Stippvisite. Aber Gysi versprach: „Wenn ich eingeladen werde, komme ich gerne wieder nach Delmenhorst.“
Der nächste Teil der Reihe findet am Dienstag, 17. September, um 18 Uhr statt. Dann ist der ehemalige Bremer Bürgermeister Hennig Scherf zu Gast.