Mit ihrem historischen Stadtrundgang machten Schüler des Delmenhorster Willms-Gymnasiums auf den internationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar aufmerksam.
Der zehnte Jahrgang des Gymnasiums an der Willmsstraße lud diesen Dienstag zu einem historischen Stadtrundgang ein. Terminlich wurde “die Geschichtsstunde auf der Straße” in die Nähe des internationalen Holocaust-Gedenktages am kommenden Freitag gelegt. “Wir finden, dass diese Aktion unserer Schule ein gutes Beispiel für Gedenken und die Geschichtskultur in Delmenhorst sein kann”, erklärte Jelena Jovicic, Fachobfrau für Geschichte am Willms. Seit 1996 wird der Gedenktag bundesweit begangen. Erinnert wird an den 27. Januar 1945, als das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und die beiden anderen Konzentrationslager Auschwitz befreit wurden.
Die Schüler steuerten gruppenweise Orte an, wo eine Delmenhorster Initiative schon in den Jahren 2006 bis 2008 sogenannte Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig hatte verlegen lassen. Aus Messing bestehende Gedenktafeln sind in den Bürgersteig vor jenen Häusern eingelassen, in denen vom NS-Regime verfolgte und getötete Opfer früher gewohnt hatten. Die Inschriften geben Informationen über die Namen, das Alter und das Schicksal der ehemaligen Bewohner. An der Langen Straße 78 beispielsweise, wird an die Familie Rothschild erinnert. Bis 1938 hatten der Arzt Harry Rothschild, seine Ehefrau Mathilde und die Kinder Gertrud, Edith und Edmund in dem Wohn- und Geschäftshaus gelebt. Sie waren Juden und gehörten zu den 75 Delmenhorster Opfern ihres Glaubens. Sie wurden von den Nazis ermordet oder von Delmenhorst aus in Konzentrationslager deportiert, um dort zu sterben. Der Schüler Eray Duvsur hatte über das Schicksal der Familie Rothschild recherchiert und das so Zusammengeschriebene in eigenen Worten vorgetragen.
Die sechs beteiligten Klassenverbände hatten sich in Gruppen aufgeteilt und besuchten auch noch das ehemalige Wohnhaus der Familie Fink an der Lange Straße 94 und das Haus, wo einst Familie Bandel wohnte, an der Koppelstraße 4. Die vor den Häusern im Gehweg eingelassenen Stolpersteine wurden gereinigt sowie Blumen darauf niedergelegt und Kerzen angezündet.
Anschließend ging es zum sogenannten Ostwegweiser, einem 1963 ursprünglich auf einer Rasenfläche an der Graft aufgestellten hölzernen Wegweiser, der jetzt am Bahnhof platziert ist. “Über 700 Jahre deutsche Heimat” steht über sechs Ortsnamen: Königsberg, Marienburg, Breslau, Stettin, Danzig und Eger, ergänzt durch die Kilometerangabe und das jeweilige Stadtwappen. Gleich gegenüber wurde 1993 ein gläserner Wegweiser aufgestellt, als “Gegendenkmal” mit den Namen von 17 Konzentrationslagern nebst Entfernungsangabe, berichtete Schülerin Katharina Wolter, die sich für diese Station vorbereitet hatte.
Der Rundgang endete bei der neuen Synagoge an der Louisenstraße. “Wir wollen den Jugendlichen zeigen, dass mit dem Holocaust nicht jegliches jüdisches Leben in Delmenhorst zu Ende gegangen war, 1997 hat sich die jüdische Gemeinde hier neu gegründet”, so Jovicic. “Wir sind dort so herzlich aufgenommen worden”, beschreibt Lehrerin Stephanie Greskamp die freundschaftliche Atmosphäre, die auch ihre Schüler nicht unbeeindruckt ließ. Ein Mitglied der jüdischen Gemeinde bat die Schüler ins Gemeindezentrum hinein und berichtete von den Aktivitäten der heute rund 170 aktiven Gemeindemitglieder.
Es sei wichtig, dass die jungen Menschen lernen, eine Gedenkkultur zu pflegen, die sich gerade stark verändert, so Jovicic. Am Willms habe man im vergangenen September noch den Holocaustüberlebenden Ivar Buterfas-Frankenthal zu einem Vortrag begrüßen können. Erinnerungsarbeit könne man aber immer seltener zusammen mit Zeitzeugen leisten. Es gelte neue Formen zu finden, der schrecklichen Ereignisse der Nazi-Herrschaft zu gedenken. Die Zehnklässler des Willms hatten vergangenes Jahr beispielsweise einen Besuch der KZ-Gedenkstätte Neuengamme auf dem Lehrplan. Die Beschäftigung mit den Verbrechen der Nazis bleibe Stoff im Unterricht und zusätzlich an außerschulischen Lernorten, so Jovicic. Der historische Stadtrundgang an diesem Dienstag war eine Veranstaltung dieser Art. “Den Schülern wurde klar, wie naheliegend dieses Kapitel der Geschichte ist”, so Jovicic. Und: “Geschichte lernt man nicht nur aus Schulbüchern.” Besonders der Besuch an den beiden Denkmalen am Bahnhof habe die Schüler gelehrt, wie wichtig es ist, sich in den Diskurs von Geschichte einzubringen.