Einen Tag lang haben die Lehrer des Willms-Gymnasiums am Freitag wieder die Schulbank gedrückt. Es ging um digitale Bildung. Einige Schüler der Tablet-Klasse übernahmen dabei sogar die Rolle des Lehrers.
Smartphone, Notebook oder Apps – digitale Geräte und Tools sind aus dem Alltag und auch aus der Arbeitswelt nicht mehr wegzudenken. Wer sich damit nicht auskennt, ist schnell außen vor. Um die digitale Teilhabe in der Gesellschaft zu fördern, gibt es seit 2020 einen bundesweiten Aktionstag. An diesem Freitag war es wieder so weit: Unter dem Motto “Digitalisierung: Entdecken. Verstehen. Gestalten.” wurden in ganz Deutschland verschiedene Aktionen angeboten. Auch das Willms-Gymnasium in Delmenhorst hat sich beteiligt: mit einer eintägigen schulinternen Lehrkräftefortbildung zum Thema “Digitale Bildung”.
“Wir haben einen Fortbildungsauftrag zu zukunftsmächtigen Themen”, erklärte Schulleiter Stefan Nolting die Idee zu der Veranstaltung. Alle halbe Jahre nehme sich das Kollegium die Zeit dafür. Diese Regelmäßigkeit sei auch erforderlich, wie Nolting betonte: “Sonst wäre der Effekt zu gering.” Bei den Lehrern kam dieses Fortbildungsangebot offenbar gut an. Denn: “Fast alle sind da”, stellte Nolting zufrieden fest.
Obwohl sich der Digitaltag nur an die Lehrkräfte richtete und die Schüler zum Selbstlernen zu Hause blieben, waren auch einige Elftklässler da. Unter dem Motto “Teach the teacher” schlüpften sie in die Rolle der Lehrer und schulten diese im Umgang mit dem iPad. “Wir haben eine Reihe von Lehrern, die aus der Windows-Welt kommen. Mit dem iPad ist es ein ganz anderer Workflow”, erklärte Imke Petermann, die den Digitaltag zusammen mit Arne Renz organisiert hat, die Intention des Workshops. “Es ist ungewohnt”, sagte die 16-jährige Lilly Plura über ihre Rolle als Lehrerin. Zugleich sei es aber ein gutes Gefühl, “den Lehrern etwas mitzugeben”, ergänzte ihre 17-jährige Klassenkameradin Amershiga Karunamoorthy. Als Schülerinnen der iPad-Klasse hätten sie fast ein Jahr Erfahrung im Umgang mit dem Tablet gesammelt, die sie nun weitergeben können. “Es ist toll, dass die Lehrer unsere Hilfe annehmen”, sagten die beiden Schülerinnen.
Neben dem internen Wissen nutzte das Willms auf seinem Digitaltag auch die Expertise von Externen. So sprach unter anderem Ira Diethelm, Professorin für die Didaktik der Informatik an der Universität Oldenburg, über den Sinn der digitalen Bildung und riet: “Man sollte sich nicht im Klein-Klein verlieren.” Diese Gefahr sieht sie bestehen, weil die digitale Bildung facettenreich sei. Die Professoren selbst unterteilt das Feld in vier Bereiche. Zu ihrem “Haus der digitalen Bildung”, wie sie es nennt, gehören zum einen die Organisationsmittel wie etwa ein digitales Klassenbuch. Auch am Willms wird dieses genutzt. Derzeit ist es noch in der Einführungsphase, soll ab dem kommenden Schuljahr aber verpflichtend werden, wie der Schulleiter erklärte. Von den Organisationsmitteln zu unterscheiden, seien die Unterrichtsmittel. “Das sind etwa Vokabeltrainer”, erläuterte Diethelm. Der dritte Bereich seien die Werkzeuge: “Sie stellen ein Produkt her”, so die Professorin. Zu guter Letzt nennt sie als vierten Bereich den Unterrichtsgegenstand. Darunter versteht sie, wenn über Digitalisierung auch im Unterricht als Inhalt gesprochen wird, zum Beispiel über die Funktionsweise des Internets oder das Programmieren.
Auch die Software “ChatGPT” sollte ihres Erachtens Gegenstand des Unterrichts sein. Die Angst, dass Schüler diese nutzen könnten, um in Schularbeiten zu schummeln, teilt sie nicht. Sie rät zu Lockerheit. Denn dass Schüler schummeln, habe es auch schon früher gegeben. “Damals waren die akademischen Eltern”, meint die Professorin. Dass die Software das bayrische Abitur bestanden haben soll, sei zwar bedenklich. Allerdings zieht die Professorin daraus einen anderen Schluss: “Was sagt das über die Aufgaben aus?” Ihrer Ansicht nach sollten diese überdacht werden. “Es ist egal, ob ein Text von ChatGPT erstellt wurde, wenn der Schüler hinterher alle Fragen dazu beantworten kann. Dann hat er das verstanden”, so Diethelm.
Wie sehr die Software des Unternehmens OpenAI das Lehrerkollegium am Willms umtreibt, zeigte sich auch bei einem weiteren Fortbildungsangebot während des Digitaltages. Bis auf den letzten Platz war das Klassenzimmer besetzt, als Christina Cociancig von der Universität Bremen über die Anwendung von ChatGPT sprach. Unter bestimmten Bedingungen sei es in Ordnung, die Software zu nutzen. Zu bedenken sei aber stets: “Es sind nur Wahrscheinlichkeiten.” Das betonte auch Diethelm: “Es ist kein Geist, nur eine Maschine.” Die Professorin sieht in der Debatte um ChatGPT die “Speerspitze”, die dazu führt, sich mit Künstlicher Intelligenz und Digitalisierung zu befassen – so wie es die Lehrer des Willms an ihrem Digitaltag gemacht haben.