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Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert setzt in Delmenhorst auf Gemeinsamkeiten

31.05.22 | NOZ / Delmenhorster Kreisblatt

Vorherige Pressebeiträge

Es gehe ihm am wenigsten um den Begriff, sagte der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert am Montagabend bei seinem Vortrag zum Thema „Brauchen wir eine neue Leitkultur? Thesen zu einer notwendigen Debatte!?“ im voll besetzten Forum des Willms-Gymnasiums in Delmenhorst. Aber es gebe wenige Begriffe, die eine ähnlich „elektrisierende Wirkung“ hätten, um eine Debatte anzustoßen.

Und diese sei wichtig. Denn: „Wir müssen uns gerade bei der immer ausgeprägteren Unterschiedlichkeit der Menschen, der unterschiedlichen Herkünfte und der unterschiedlichen Kulturkreise in unserer Gesellschaft wieder mehr damit beschäftigen, was uns zusammenbringt, und nicht nur mit dem, was uns voneinander unterscheidet“, so der 73-Jährige im Gespräch mit dem dk.

Dass viele Menschen das Gefühl haben, die deutsche Gesellschaft spalte sich immer mehr auf und der Zusammenhalt gehe zunehmend verloren, habe jüngst eine Umfrage der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung gezeigt, so Norbert Lammert in seinem Vortrag – auch wenn die Umfrage unter den Bedingungen der Corona-Pandemie zustande gekommen sei und es in Studien der Bertelsmann-Stiftung regelmäßig heiße, dass das gesellschaftliche Miteinander faktisch relativ stabil sei.

„Meine zentrale These lautet: Ohne ein Mindestmaß an Gemeinsamkeiten erträgt eine Gesellschaft ihre Unterschiede nicht“, sagte der 73-Jährige. Dieses Mindestmaß an Gemeinsamkeiten entwickele sich in der Regel über viele Generationen aus deren Erfahrungen, aus denen wiederum Einsichten, Überzeugungen, Traditionen und letztlich zu erwartende Verhaltensweisen entstünden. Zentrale Begiffe seien hier Religion, Vernunft und Zweifel im Sinne der Epoche der Aufklärung.

Verhaltensweisen für das Zusammenleben in der Gesellschaft festzulegen, sei seiner Meinung nach entgegen anders lautender Meinungen zumutbar, sagte Norbert Lammert im Gespräch mit unserer Redaktion – zumal sich die Normen ständig entwickelten und jeder in Deutschland die Möglichkeit habe, sich an der Entwicklung zu beteiligen. Das Thema könne nicht nur in intellektuellen Kreisen, sondern beispielsweise auch in Kirchengruppen, Sportvereinen oder anderen Institutionen behandelt werden.

Letztlich lebe eine Demokratie von der Mitwirkung ihrer Bürger. Die Verfassung der Weimarer Republik sei nicht schlechter gewesen als die heutige. Sie sei aber gescheitert, weil sie nicht den Rückhalt in der breiten Bevölkerung gehabt habe, sagte Lammert nach seinem Vortrag im Gespräch mit den ehemaligen Willms-Schülerinnen Jördis Krey und Sonja Fleischmann – der ursprünglich im März 2020 geplante Auftritt war damals coronabedingt ausgefallen – sowie Lehrerin Jelena Jovicic.

Diese stellten dem ehemaligen Bundestagspräsidenten unter anderem noch die Frage, wie eine bessere Gesprächskultur erreicht werden könne. Ihn stimme kaum ein anderes Thema nachdenklicher, als die Verdrängung der analogen durch die digitale Kommunikation, sagte der 73-Jährige. Die unüberschaubare und schnell abrufbare Fülle von Informationen sei ein „riesiges Problem“, sagte Lammert.

So würden separate Informationsblasen geschaffen, die begünstigten, dass Menschen nicht mehr miteinander, sondern aneinander vorbei reden. Auch die zunehmende Neigung zur Fundamentalisierung der eigenen Meinung habe damit zu tun, so Lammert, der die wichtige Aufgabe des Journalismus herausstellte, Informationen zu filtern.