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Was die Gesellschaft im Kern zusammenhält

30.05.22 | Weser-Kurier

Vorherige Pressebeiträge

Altbundestagspräsident Norbert Lammert zeichnet in einem Vortrag am Willms-Gymnasium einen Grundriss des inneren Zusammenhalts. Ohne Gemeinsamkeiten würde die Gesellschaft ihre Unterschiede nicht ertragen.

Es hat lange gedauert. Eigentlich sollte der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) schon am 15. März 2020 vor großem Publikum in der Mensa des Gymnasiums an der Willmsstraße sprechen. Doch jener Tag war der erste Tag des Corona-Lockdown. Am Montag, 30. Mai 2022, scheint die Pandemie in weiter Ferne, und Lammert konnte in einem launigen Vortrag laut über die Frage nachdenken, was die Gesellschaft eigentlich im Kern zusammenhält.

“Ohne ein Mindestmaß an Gemeinsamkeiten erträgt eine Gesellschaft ihre Unterschiede nicht”, machte Lammert deutlich. Denn, dass Menschen verschieden seien, sei bereits seit Anbeginn der Menschheit klar. Zwar müsse nicht alles gemeinsam geteilt werden, doch ganz ohne ginge es auch in den besten Familien nicht, sagte der frühere Spitzenpolitiker vor Schülern, Lehrern und anderen Gästen des öffentlichen Vortrags.

Gesellschaftliche Erfahrungen münden in Verfassungen

Lammert erläuterte, dass eine Gesellschaft aus gemeinsam erlebten Erfahrungen Einsichten gewinnen würde, aus denen Erwartungen erwachsen, die wiederum in gewissen Verhaltensmustern münden würden. Diese Elemente hätten alle Gesellschaften und seien diese noch so verschieden, gemein. Deshalb seien auch über Meinungsverschiedenheiten hinweg Wege der Kommunikation zum Beispiel zwischen verschiedenen Ländern möglich. “Das ist der Kitt, den es braucht, um als Gesellschaft zu funktionieren”, sagte der Christdemokrat.

Lammert erklärte die Familie zur Keimzelle einer Gesellschaft, in der durch Reden Regeln des Zusammenlebens aufgestellt werden könnten. In Ländern wie Deutschland mit seinen 82 Millionen Einwohnern bräuchte es für das gesamte Land geschriebene Regeln. Und die Grundlage dieser staatlichen Gesellschaftsordnungen seien Verfassungen oder Grundgesetze. Auch gesellschaftlicher Wandel würde in diesen Verfassungen offenbar. Und eben auch die Grundlage der gemeinsam erlebten Erfahrungen. “Der erste Satz der Weimarer Verfassung von 1919 lautete: ‘Das Deutsche Reich ist eine Republik’ und das war nach vielen Jahrhunderten feudaler Adelsherrschaft auch wirklich neu, auch wenn er heute geradezu banal klingt.” In Lammerts Augen wäre es jedoch “geradezu dümmlich” gewesen, hätte dieser Satz auch das Grundgesetz der heutigen Bundesrepublik eröffnet. “Die gemeinsam gemachten Erfahrungen münden in dem Satz ‘Die Würde des Menschen ist unantastbar’ und dieser Satz ist vielleicht der erstaunlichste, der in einer Verfassung stehen kann, denn er ist empirisch falsch.” Empirisch falsch deshalb, so holte Lammert aus, weil der 2. Weltkrieg und die Diktatur unter Adolf Hitler eben gezeigt hätten, dass die Würde des Menschen sehr wohl antastbar sei.

Pressefreiheit und Selbstzweifel sind wichtig

Der gläubige Katholik Lammert erklärte, dass Glaube durch die Vernunft relativiert werden müsse. Glaube und Vernunft müssten jedoch durch Moralvorstellungen in Grenzen gehalten werden. “Und meines Erachtens wäre der Begriff des Zweifels in dieser Reihung ebenfalls notwendig.” Lammert erlebe derzeit, dass zwar an vielem gezweifelt werde, jedoch selten an der eigenen Meinung. In den Augen des einstigen Parlamentspräsidenten hätte dies zur Folge, dass die Kommunikation in der Gesellschaft, von der ihr eigener Zusammenhalt abhinge, gestört würde und damit auch die demokratischen Prinzipien insgesamt ins Wanken gerieten.

Lammert schlug eine Kerbe für die Pressefreiheit, die sich nicht bloß aus ihrem Verfassungsrang ergeben würde. “In der russischen Verfassung steht ein wunderbarer Absatz zur Pressefreiheit, diese wird jedoch gegenwärtig ganz offensichtlich auch vonseiten des russischen Staates mit Füßen getreten.” In Deutschland gebe es eine gewachsene Vielfalt an Informationsmedien, die für den Zusammenhalt enorm wichtig sind. “Dazu trägt auch ein ökonomischer Faktor bei: Man kann mit Medien Geld verdienen.” Und Lammert fand dabei kein gutes Wort an klagenden Verlagshäusern: “Medienkonzerne haben jahrzehntelang wahnsinnig viel Geld verdient, jetzt zu klagen und nach staatlicher Förderung zu rufen, zeugt von einer ungeheuren Chuzpe.”

Im abschließenden Podiumsgespräch wurde die einstige Nummer Zwei im Staat gefragt, wie er eine Plakatwand gestalten würde, die eine Woche lang auf dem Delmenhorster Marktplatz stehen würde: “Es wäre ein riesiger Spiegel und darüber der Satz: ‘Diese Menschen sind für unser Land verantwortlich.'”