Schieflage in den Delmenhorster Schulen: Weil die beiden Gymnasien nach der Freigabe des Elternwillens überproportional angewählt werden, stoßen sie mittlerweile an ihre Kapazitätsgrenze.
Die Delmenhorster Schullandschaft ist in den vergangenen Jahren in ein Ungleichgewicht geraten. Gerade bei den weiterführenden Schulen (Sekundarstufe I) verteilen sich die Schüler nicht mehr so auf die Schulen, wie es sinnvoll wäre. Wofür es mehrere Gründe gibt. Zum einen ist der freie Elternwille ein maßgeblicher Faktor, aber auch eine Besonderheit Delmenhorsts spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle: In der Stadt werden alle Schulformen vorgehalten, also neben den Klassikern des alten dreigliedrigen Systems mit Gymnasium, Real- und Hauptschule auch Oberschulen und eine Integrierte Gesamtschule. Zudem gibt es Förderschulen. Eine Vielfalt, die einzigartig in Niedersachsen ist. Doch vor allem diese Diversität scheint der Stadt auf die Füße zu fallen.
Klar scheint jetzt schon zu sein, dass es ein „Weiter so“ nicht einfach geben kann. Dem wird sich auch die Politik stellen müssen. Am Dienstag, 13. November, wird deswegen der Ausschuss für Bildung, Wissenschaft, Sport und Kultur zu einer Sondersitzung zusammenkommen, um über die weitere Schulentwicklung zu debattieren. „Wir werden der Politik auch mehrere Varianten vorschlagen“, sagt der zuständige Fachbereichsleiter Hero Mennebäck. Grundlage für diese Empfehlungen sind unter anderem die Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung des Fachdienstes Stadtplanung, bis in die Stadtteile heruntergebrochen. Und während noch vor fünf Jahren darüber geredet wurde, wie bald leer stehende Schulräume anderweitig genutzt werden oder ob gar ganze Schulstandorte geschlossen werden könnten, dreht sich zurzeit eher alles darum, wie die Schulen unter den aktuellen Vorzeichen der Schülermassen Herr werden sollen – zumindest geht es einigen Schulen so.
Am Ende bleibt alles eine Entscheidung des Rates, betont Mennebäck. Die Verwaltung legt Daten vor und entwickelt daraus Szenarien, doch am Ende muss die Politik sagen, wie die Schullandschaft in Delmenhorst zukünftig aussehen wird. So wie der Delmenhorster Sonderweg mit quasi allen denkbaren weiterführenden Schulformen (im Grunde fehlt nur eine Kooperative Gesamtschule und eine Oberschule mit gymnasialen Zweig) eine bewusste Entscheidung der Politik war. Doch schon jetzt geben die Jahrgangsstärken der fünften Klassen einen klaren Rahmen vor, der kaum zu ignorieren sein wird. Und eine Änderung der Schülerströme scheint absehbar nicht zu kommen, das legen die Elternbefragungen nahe. „Diese Befragungen decken sich ganz klar mit dem tatsächlichen Anwahlverhalten“, sagt Mennebäck.
Beispiel Gymnasium an der Willmsstraße: Seit Jahren ist das Willms die am stärksten angewählte weiterführende Schule in der Stadt, in diesem Jahrgang sind es 170 Schüler in der fünften Klasse, im Vorjahr kamen schon 156 dazu, im Schuljahr 2016/2017 waren es 176. „Unser Problem ist, dass wir die Gymnasien in ihrer Zügigkeit nicht begrenzen können“, sagt Mennebäck. Wenn diese Schulform in der Stadt angeboten wird, müsse man auch alle Schüler aufnehmen, die dort hinwollen. Natürlich könnte man mit einem Losverfahren arbeiten und auf diesem Wege die Schülerzahlen beschränken, aber das scheint nicht wirklich gewollt zu werden, weil das erhebliches Empörungspotenzial seitens der Eltern, deren Kinder eine Niete ziehen, birgt. „In der Regel hätten die Eltern auch einen Rechtsanspruch auf einen Gymnasialplatz“, sagt Mennebäck. Man könnte also höchstens derzeit die Unwucht zwischen Maxe und Willms ausgleichen, ohne dass das eigentliche Problem kuriert würde.
Seitdem der Elternwille frei gegeben wurde, schnellten die Zahlen an den allgemeinbildenden Gymnasien hoch. Das Max-Planck-Gymnasium kommt zwar auf etwas moderatere Schülerzahlen mit 114 in diesem fünften Jahrgang, zusammen bilden die beiden Gymnasien aber die mit weitem Abstand beliebteste Schulform: Zusammen sind sie zehn- bis zwölfzügig pro Jahrgang. Zwar schrumpfen die Jahrgangsgrößen bis zum Abitur naturgemäß etwas zusammen, aber gerade das Willms stößt mehr und mehr an seine Kapazitätsgrenzen – zumal auf dem Innenstadtgrundstück, auf dem das Haupthaus steht, maximal noch in die Höhe gebaut werden könnte. Mit Blick auf die Jahrgangsgrößen, die gen Willms strömen, muss die Politik relativ bald nach der Novembersitzung Entscheidungen treffen, wie sie ihre Schulen weiterentwickeln will. Oder auch nicht.
Beispiel Realschule Delmenhorst: Vor allem die CDU hat immer mit Herzblut für den Erhalt des Standortes an der Lilienstraße gekämpft. Und sie kann sich bestätigt sehen: Die Realschule, mit dem größeren Zweitstandort Holbeinstraße, nahm in diesem Jahr 140 Fünftklässler auf, 55 davon an der Lilienstraße. Die Realschule ist also ungebrochen beliebt, was sich aber, redet man mit Schulleitern, leicht erklären lässt. Zum einen scheint die Oberschule, 2011 in Niedersachsen gestartet, in den Köpfen vieler Eltern noch nicht wirklich als Alternative angekommen zu sein. Zudem scheint der aktuelle Schülermix an den beiden Oberschulen Süd und Wilhelm von der Heyde Eltern abzuschrecken, ihre Kinder dorthin zu schicken, weil dort der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund besonders groß ist. Mit der Aussage möchte aber kein Gesprächspartner öffentlich zitiert werden.
145 Schüler gehen in diesem fünften Jahrgang auf die beiden Oberschulen – so viele wie allein auf die Realschule. Zudem existiert noch eine einzügige Hauptschule, die in diesem Schuljahr von 31 Schülern angewählt wurde. Das wirft aber wiederum auch eine Raumfrage auf, ob beispielsweise die Schulzentren Nord an der Uhlandstraße oder Süd mit den Standorten Königsberger Straße und Brendelweg nicht perspektivisch zu groß werden für Schulen, die in der Anwahl hinter den Erwartungen zurückbleiben.