“Wie kaum ein anderer Politiker ist der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert ein Meister des Wortes, ein Künstler der Sprache, der seine Ansichten mit eindringlicher Klarheit auf den Punkt bringe – ge-schliffen, aber nicht gefällig”, so der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland Josef Schuster bei der Übergabe des Leo-Baeck-Preises an Norbert Lammert im Jahr 2018.
Unvergessen sind die typischen Lammert-Pfeile, unvorhergesehen und wie aus dem Handgelenk geschossen, die die Abgeordneten, die Fraktionsführungen und die Regierung, die nun einmal aufs Funktionieren ausgerichtet ist, zwölf Jahre lang ein ums andere Mal aufschreckten, zu besseren Erklärungen anstachelten, aus ihrer Bequemlichkeit weckten.
Seine beiden Bitten in seiner Abschiedsrede als Bundestagspräsident sagen fast alles über diesen außergewöhnlichen Demokraten und Politiker:
„Bewahren Sie sich bitte, wenn eben möglich, die nach den Abstürzen unserer Geschichte mühsam errungene Fähigkeit und Bereitschaft, über den Wettbewerb der Parteien und Gruppen hinweg den Konsens der Demokraten gegen Fanatiker und Fundamentalisten für noch wichtiger zu halten“.
Die Bürger forderte er dazu auf, bei Wahlen mitzubestimmen: „Nehmen Sie das Königsrecht aller Demokraten, in regelmäßigen Abständen selbst darüber befinden zu können, von wem sie regiert werden wollen, so ernst, wie es ist. Das ist für uns heute scheinbar eine Selbstverständlichkeit; aber dieser Zustand ist, wie wir alle Wissen, weder der Normalzustand der deutschen Geschichte, noch ist es die Regel für die ganz große Mehrheit der heute auf dem Globus lebenden Menschen. Viele Millionen Menschen in aller Welt beneidenuns um die Einflussmöglichkeiten, die wir haben und die ihnen vorenthalten sind. “
Das Wort “Leitkultur” scheint „verdorben“. Aber es bleibt richtig zu fragen, „was ist das uns Gemeinsame, was verbindet uns, was trägt uns, damit wir möglichst viel Vielfalt friedlich leben können?“ Die deutsche Gesellschaft ist pluralistisch und wird wahrscheinlich noch pluralistischer.
Deutschland ist in einer Welt ohne Grenzen ein weltoffenes Land, in das Menschen aus anderer Kultur, anderer Religion, anderer Herkunft kamen und weiterhin kommen werden. Pluralismus ist aber keine Idylle, sondern auch widersprüchlich. Daher geht es darum, was die tragenden Werte, die uns miteinander verbinden, derer wir uns immer wieder neu vergewissern müssen, sind.
Das reicht über das Grundgesetz hinaus. Es geht um eine gemeinsame Kultur, auch Alltagskultur, und Regeln des Zusammenlebens, die wir für selbstverständlich halten und von denen wir mit Recht sagen können, wir laden auch die zu uns Kommenden dazu ein, sich genau an diese Regeln zu halten, weil ohne diese Regeln und ohne diese gemeinsamen Grundüberzeugungen friedliches Zusammenleben nicht möglich ist.